sludge-as-a-service™

Prolog: Willkommen im Schlamm

Das System liebt ein Hobby besonders: Steine in den Weg legen.
Nicht aus Boshaftigkeit. Sondern aus Struktur. Weil es sitzt. Klebt. Bleibt.

Jede Änderung wirkt wie Gefahr. Es sei denn, sie kommt von oben – und selbst dann wird sie vertagt, zerredet, zersplittert. Bis niemand mehr weiß, was die Idee mal war.


Kapitel 1: Die Kunst des Verlangsamen

Du hast eine Projektidee? Freu dich auf:

  • 12 Meetings,
  • 5 Berichte,
  • 20 Meinungen,
  • null Entscheidung.

Denn du darfst herausfinden, wer entscheiden darf. Wenn du Pech hast: niemand. Wenn du Glück hast: drei Leute, die sich gegenseitig cc’en.

Du willst was verbessern?
Muahahaha.
Und wenn du’s trotzdem versuchst: Viel Glück beim Nachweisen, dass du je gefragt hast – oder je ernst genommen wurdest.

Du möchtest an einer Konferenz teilnehmen?
Bitte:

  • Formular A1.7
  • Genehmigung von XY
  • Budgetfreigabe in Kalenderwoche 53

Kapitel 2: Nudging vs. Sludging

Das System arbeitet gern mit psychologischen Hebeln. Zwei Strategien stehen ganz oben im Werkzeugkasten:

  • Nudging: Sanftes Hinlenken. Obstschale im Pausenraum. Fahrradförderung. Niemand muss, aber alle sollen wollen.
  • Sludging: Heimliches Entwöhnen. Der Fahrstuhl braucht plötzlich 3 Minuten. Der Parkplatz wird teuer. Der Antrag auf Alternative ist 12 Seiten lang.

Beides zielt auf Anpassung. Ohne Widerstand. Und ohne echte Wahl. Und wehe, du willst anders. Dann bist du das Problem.


Kapitel 3: Die stille Erpressung

Firmenessen? Vegetarisch. Immer. Für den kleinsten gemeinsamen Nenner. Wer was anderes braucht, muss Aufwand machen. Das wird vermerkt.

Firmenlaptop? Pflicht. Nur damit darfst du ins Homeoffice. Rucksackpflicht, ob dein Rücken will oder nicht. Ergonomisch ist, was sich durchsetzen lässt.

Zugriff von unterwegs? Nur über zertifizierte Tools. Auf zertifizierten Geräten. Aber bitte trotzdem flexibel bleiben!

Wasch dir die Hände, aber bitte nicht zu oft. Sicherheit geht vor. Aber Aufwand nervt. Und du könntest ja auch einfach besser sein.


Kapitel 4: Sludge trifft Shame

"Es ist zu deiner Sicherheit!"

Bedenken Sie, dass bei einem Leak alle wissen werden, dass die Mail von Ihnen kam. Der Name steht drin.

Stell dir vor, wie peinlich das wäre.

"Sie wollen doch auch dazugehören!"

Alle Kader-Mitglieder haben bereits unterschrieben. Fast alle.

Letzte Chance, freiwillig mitzumachen, bevor wir dich sanft zwingen.


Kapitel 5: Die HR-Matrix

  • Du sollst Urlaub nehmen, aber bitte nicht zu viel.
  • Du darfst keine Überstunden machen, es sei denn du musst.
  • Du sollst früh gehen, aber wenn du früh gehst, fällt es auf.

Du darfst zum Arzt, aber es sollte nicht auffallen. Deine Gesundheit ist wichtig, solange du sie nicht zum Thema machst.


Kapitel 6: Anti-Burnout durch Eigenverantwortung™

Du bekommst:

  • Zugang zu einer Anti-Stress-Plattform
  • Newsletter mit 12 Tipps für mehr Resilienz – Nummer 7: Lächeln hilft.
  • Eine Umfrage zur psychischen Gesundheit (anonym, aber wer weiß das schon)

Und wenn du trotzdem ausfällst? Dann hättest du eben besser auf dich achten müssen. Eigenverantwortung™, du weisst schon.


Kapitel 7: Sludge-as-a-Service

Manchmal nennt sich das Ganze: Struktur. Oder: Effizienz. Oder: Governance.

Ich nenne es: sludge-as-a-service™

Ein Produkt, das niemand bestellt hat. Ein System, das sich selbst schützt. Ein Klima, das keiner benennt – aber alle mitatmen.

Es macht nicht krank. Es macht müde.

Und dann fragt es:

Warum bist du nicht mehr so motiviert wie früher?


Absender: irrelevant.
Nicht, weil es mich nicht betrifft.
Sondern weil ich nicht die Einzige bin.