Schatten der Worte

In den Schattenwelten werfen Worte lange Schatten –
länger und dunkler als die Sätze, aus denen sie geboren wurden.
Sie sind Wesen für sich.

Am Anfang waren sie weich, formbar, ein Versuch.
Doch sie haben gelernt, sich selbst zuzuflüstern,
immer wieder, in der Echokammer der Monologe,
bis sie hart und brüchig wurden wie altes Harz.
Bis sie glaubten, sie seien die Wahrheit selbst:

"Ich bin Fakt."
"Ich bin final."
"Ich bin unantastbar."

Doch in den Ritzen, wo das Licht anders fällt, tanzen sie ihre absurde Komödie.
Ein Wort posiert und macht Selfies mit seinem eigenen Echo.
Ein anderes dreht sich hysterisch im Kreis, sucht nach Bestätigung in einer Blase aus Buchstaben, die platzt, wenn man sie nur ansieht.
Ein drittes baut sich eine kleine Festung aus Jargon und murmelt Befehle an unsichtbare Wächter, um niemanden mehr hereinzulassen.

Hier sind Halbwahrheiten wie feine Staubkörner im letzten Sonnenlicht –
sie scheinen für einen Moment alles zu sein.
Sie setzen sich auf Zungen und Bildschirme,
verkleben sanft die Poren des Dialogs,
bis nur noch das glatte, erstickende Wachs der Monologe übrig bleibt.

Und draußen, auf dem lauten Markt der Deklarationen,
werden diese verhärteten Worte zu Waffen und zu Schilden.
Es wird gebrüllt. Es wird verteidigt.

Während die leisen, vergessenen Wörter in den Schatten kichern.
Sie wissen, was die lauten vergessen haben:

„Wir sind nicht nur eure Rüstung. Wir sind auch die Pointe.“

Manchmal, wenn alles still wird,
flackert ein kleiner Funke auf.
Nicht im Wort selbst, sondern in der Lücke zwischen den Silben.
Ein winziger Raum, in dem Worte wieder atmen lernen dürfen,
statt nur geworfen zu werden. Ein Ort, an dem sie sich erinnern,
dass sie einst nur ein Versuch waren.

Spürst du sie, die Schatten der Worte?
Sie fragen dich nicht nach deiner sorgsam gebauten Geschichte.

Sie wissen schon längst, was darin fehlt.