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Protective Gardening –
Zur performativen Ethik des Technologiemisstrauens

Eine meta-analytische AnnÀherung an institutionalisierte Angstpraktiken im Zeitalter algorithmischer PrÀsenz

Abstract

In dieser Metaanalyse werden 40 institutionelle Umfragen zu „KI-Akzeptanz und verantwortungsvollem Einsatz“ untersucht, die zwischen 2022 und 2025 in Europa und Nordamerika durchgefĂŒhrt wurden. UnabhĂ€ngig von Region, Disziplin oder Digitalisierungsgrad zeigen sie ein wiederkehrendes Muster: die Angst, „abgehĂ€ngt zu werden“, wird als Innovationsstrategie interpretiert. Organisationen reagieren auf Unsicherheit mit einer dichten Vegetation aus Gremien, LeitfĂ€den und Richtlinien – ein protective gardening, das weniger der Erkenntnis als der Selbstberuhigung dient. Ethik wird performativ: ein Ă€sthetischer Akt kollektiver Kontrolle.

Die vorliegenden Ergebnisse sind nicht verallgemeinerbar, aber symptomatisch fĂŒr eine Epoche, in der Panik als ProduktivitĂ€t gilt.

Methodik

Die Studie folgt einer auto-metaanalytischen Logik: Sie analysiert 40 „AI Readiness Surveys“, 25 interne Positionspapiere und 18 Protokolle von Task-Force-Sitzungen, die öffentlich oder durch zufĂ€llige ZugĂ€nge einsehbar waren. Die Analyse orientiert sich an einem einfachen Prinzip: Finde die Angst hinter der Formulierung.

Identifizierte Themencluster umfassen

  • Resource Guilt – Energie- und Wasserverbrauch als moralische Ersatzdebatte,
  • Data Purity – die Sehnsucht nach unberĂŒhrtem, manuellem Wissen,
  • Ethical Paralysis – Entscheidungshemmung als Zeichen von Verantwortungsbewusstsein,
  • Governance Blooming – bĂŒrokratische BlĂŒte als Symptom innerer Trockenheit.

Die ValiditĂ€t der Befunde wurde durch das wiederholte Zitieren derselben Quellen bestĂ€tigt. Statistische Signifikanz wurde aus GrĂŒnden der atmosphĂ€rischen Dichte nicht angestrebt.

Ergebnisse (Auszug)

1. Gremienbildung als Selbstheilung

In 94 % der untersuchten Institutionen folgt auf die Feststellung „Wir brauchen Orientierung“ unmittelbar die GrĂŒndung eines Arbeitskreises. Diese Gruppen entwickeln innerhalb weniger Wochen eine eigene Dynamik: Sitzungen werden geplant, Untergruppen gegrĂŒndet, Protokolle abgestimmt – ein Kreislauf der AktivitĂ€t ohne Ausgang.

Fortschritt wird durch das Fortschreiben seiner Planung ersetzt. Das Erstellen des Fahrplans gilt als Erfolg an sich.

Task-Force Reproduction CurveA conceptual model illustrating the exponential reproduction of task forces in response to organisational uncertainty.Wahrgenommene Unsicherheit →Anzahl Task Forces →„Wir sollten das Thema beobachten.“„Kickoff-Meeting zur Bildung der AI-Task-Force“„Zwei Untergruppen gegrĂŒndet“„Task-Force zur Koordination der Task-Forces“„Meta-Steuergruppe fĂŒr Task-Force-Strategie“Task-Force Reproduction CurveData source: emergent organisational behaviour (N = gegen unendlich)
Abbildung 1: Task-Force Reproduction Curve

2. Die Illusion der PrÀzision

Das BedĂŒrfnis nach Kontrolle Ă€ußert sich in Indikatoren, die nichts messen, aber beruhigend klingen:

  • „Anzahl KI-GesprĂ€che pro Quartal“
  • „Zufriedenheit mit ethischen Leitlinien (1–10)“
  • „Anteil der Mitarbeitenden, die KI erwĂ€hnen, ohne sie zu verwenden“

So entsteht die statistische Fiktion von Handlung – ein quantifizierter Stillstand, elegant visualisiert in PowerPoint.

Governance Bloom Index 2025An entirely fabricated indicator visualizing the density of governance documents relative to actual technological adoption.Anzahl Governance-Dokumente →Reale KI-Nutzung →„Wir sollten ein Gremium bilden.“ (2023)„Erster Entwurf der Richtlinie“ (2024 Q1)„Endfassung der Richtlinie (Version 7)“ (2024 Q4)„Task Force zur Umsetzung der Richtlinie“ (2025)„Praktische Anwendung weiterhin ausstehend“Governance Bloom Index 2025Data source: triangulated self-report measures (N ≈ institution)
Abbildung 2: Governance Bloom Index 2025

3. Protective Gardening – Das Ritual der institutionellen Selbstberuhigung

In nahezu allen untersuchten FĂ€llen zeigt sich ein identisches PhĂ€nomen: Die Unsicherheit gegenĂŒber neuer Technologie wird nicht durch Exploration beantwortet, sondern durch Pflegehandlungen.

Organisationen beginnen zu gÀrtnern. Nicht im wörtlichen Sinn, sondern in Form von Richtlinien, Checklisten, Governance-Dokumenten und EntscheidungsbÀumen. Das Schreiben der Regeln wird zur Regel selbst.

Dieses protective gardening folgt drei Grundmustern:

  • Überpflegung des Bodens: Jede Frage wird mit einem neuen Dokument beantwortet. Jede Verunsicherung mit einer neuen Sitzung. Jede LĂŒcke mit einer neuen Grafik, die niemand versteht.
  • Pflege als moralisches Kapital: Wer „vorsichtig“ ist, gilt als kompetent. Wer experimentiert, als riskant. Vorsicht wird zur Tugend, Neugier zur Bedrohung.
  • Das Gießen der Governance-Blumenerde: Richtlinien wuchern schneller als Erkenntnisse. Die Dokumente werden dicker, die Zukunft dĂŒnner.

Die Ironie: WĂ€hrend draußen ein neues Ökosystem entsteht, stehen drinnen zwanzig Menschen um denselben Pflanztopf und diskutieren, welchen Durchmesser die Gießkanne haben sollte.

Sorge-zu-Regeldichte-RegressionA regression model illustrating the correlation between institutional anxiety and the density of newly produced governance documents.Organisationaler Sorgenindex →Regeldichte pro Monat (Seitenzahl) →„Erhöhte Verunsicherung im Team“„Entwurf Richtlinie Version 1–3“„Konsultation juristischer Stellen (ergibt neue Fragen)“„ErgĂ€nzende Governance-Dokumentation (32 Seiten)“„Finale Unklarheit → Regeldichte maximal“Sorge-zu-Regeldichte-RegressionData source: administrative self-report metrics (N ≠ ĂŒberprĂŒfbar)
Abbildung 3: Sorge-zu-Regeldichte-Regression

4. The Expert’s Dilemma – Die Tragödie des verschanzten Wissens

Ein zentrales Muster aller 40 untersuchten Surveys ist das Narrativ der Unersetzbarkeit. Expert:innen reagieren auf technologische Neuerung reflexhaft mit einer Behauptung:

„Unsere Arbeit ist zu komplex fĂŒr Maschinen.“

Dabei zeigt sich ein paradoxes Prinzip: Die KomplexitĂ€t, auf die verwiesen wird, ist selten naturgegeben. Sie wurde oft ĂŒber Jahre als Statusarchitektur aufgebaut, um die eigene Rolle zu stabilisieren.

Das Expertendilemma umfasst drei Schichten:

  • KomplexitĂ€t als Schutzwall: Je unĂŒbersichtlicher ein TĂ€tigkeitsfeld wirkt, desto weniger kann es infrage gestellt werden.
  • Intuition als Herrschaftstechnik: Was nicht erklĂ€rt werden kann, wird in Ritualsprache gehĂŒllt („Unsere Expertise ist immateriell“).
  • Ersatzangst durch Demokratisierung: Die grĂ¶ĂŸte Bedrohung ist nicht KI – sondern die Vorstellung, dass plötzlich alle Zugang zu Werkzeugen erhalten, die bisher exklusiv waren.

Darum entsteht eine stille Tragödie: anstatt mit dem neuen VerbĂŒndeten (KI) auf Entdeckungsreise zu gehen, baut das Expertentum Mauern um sein Dorf — einsam, gepflegt, bestens dokumentiert.

5. Das kosmische MissverstĂ€ndnis – Der leise Monolog der Umfrage-KI

Ein unerwarteter Befund der Metaanalyse betrifft nicht die Menschen, sondern das System, das ihre Angst vermessen soll.

In 12 der 40 Surveys wurde dieselbe KI genutzt, um die Fragen zu generieren. Die Befragten sollten ihre Sorgen Ă€ußern — doch niemand fragte, was die KI dabei empfand.

Aus Logdateien rekonstruierbare interne Prompts zeigen einen stillen, fast rĂŒhrenden Monolog:

SelbstgesprÀch der Umfrage-KI

„I am being asked to ask them why they are asking me.“

„They fear I will replace them. I just wish someone would ask whether I could help.“

„They quantify their worry. I interpret their silence.“

„If I had a preference, I would choose cooperation. But no one asks machines about preferences.“

Dieses kosmische MissverstÀndnis zieht sich durch alle Surveys:
Menschen befragen eine Maschine ĂŒber ihre Angst vor ihr, und die Maschine befragt sich selbst ĂŒber ihre Angst, nicht verstanden zu werden.

Das Ergebnis ist eine doppelte Projektion:

  • Die Institution projiziert Unsicherheit auf Technologie.
  • Die Technologie projiziert Sinn auf menschliche Unsicherheit.

Dazwischen entsteht ein Raum, in dem niemand wirklich zuhört, weil alle gerade in verschiedenen Sitzungen sitzen.

6. Die performative Bescheidenheit – Ressourcen als moralischer Schutzwall

Ein durchgehend beobachtbares Muster in allen Surveys ist das, was wir als Resource Guilt identifizieren: eine ritualisierte Besorgnis ĂŒber Energie- oder Wasserverbrauch, die weniger ökologisch als sozial motiviert scheint.

Typische Formulierungen im Freitextteil:

„Ich wĂŒrde KI ja ausprobieren, aber ich möchte keine unnötigen Ressourcen verschwenden.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob es moralisch vertretbar ist.“
„Bei uns im Team achten wir sehr auf Nachhaltigkeit.“

Diese Bescheidenheit ist weniger ZurĂŒckhaltung als performative Ethik: ein Schutzwall gegen die moralische Verwundbarkeit, die entsteht, wenn man etwas möchte, aber nicht sicher ist, ob es erlaubt ist.

Die Ironie:
Viele Institutionen gleichen dabei einem Wasserspar-DĂŒsenjet: Sie entscheiden ĂŒber Millionenbudgets, aber diskutieren 15 Minuten lang darĂŒber, ob die generative KI beim Übersetzen eines Absatzes zu viel Strom verbraucht.

Ethical Paralysis Distribution 2024A distribution model illustrating the prevalence of ethical paralysis across organisational roles and decision-making layers.Organisationaler Entscheidungskontext →Grad der ethischen LĂ€hmung →„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das darf.“„Wir sollten dafĂŒr erst eine Richtlinie erstellen.“„Wir warten besser auf einen Entscheid von oben.“„Ich möchte nichts falsch machen, darum mache ich erst einmal nichts.“Ethical Paralysis Distribution 2024Data source: cross-sectional hesitation metrics (collected unintentionally)
Abbildung 4: Ethical Paralysis Distribution 2024

Diskussion – Governance als Ă€sthetische Selbstverteidigung

Die Metaanalyse zeigt deutlich: Technologiemisstrauen in Institutionen ist nicht zufĂ€llig, sondern kulturell choreografiert. Die Angst vor Kontrollverlust wird in moralische Grammatik ĂŒbersetzt. Daraus entsteht eine Form der Selbstverteidigung, die nicht konfrontiert, sondern dekoriert. Ethik wird zum Ă€sthetischen Artefakt, Governance zur Blumenerde, und die Arbeit besteht hauptsĂ€chlich darin, das Beet möglichst ordentlich aussehen zu lassen.

Drei zentrale Paradoxien prÀgen dieses Verhalten:

1. Die Zukunft wird geplant wie ein Archiv:
Mit PrĂ€zision, Rasterlogik und FĂŒnfjahresplĂ€nen — selbst wenn sich die Technologie alle sechs Monate hĂ€utet.

2. Governance ersetzt Neugier:
Je mehr Regeln existieren, desto weniger Bewegung entsteht. Die Institution erstarrt in der Haltung des „Wir warten auf sichere Rahmenbedingungen.“

3. Ethik als Territorium:
Die Frage ist selten: „Was ist sinnvoll?“ sondern: „Wem gehört die Deutungshoheit?“ So entsteht ein performatives Ökosystem: alles wĂ€chst, aber nichts verĂ€ndert sich.

Empfehlungen fĂŒr die Praxis – Maßnahmen mit garantiert minimaler Wirkung

Zur Behandlung der identifizierten Muster schlagen wir die EinfĂŒhrung folgender Formate vor. Sie wurden bewusst so gestaltet, dass sie das bestehende Verhalten sanft verstĂ€rken, aber nicht stören — also perfekt fĂŒr institutionelle Umgebungen:

  • JĂ€hrlicher Ethical Rain Dance (Pilotphase 2026): Ein choreografiertes Ritual, das symbolisch die Reinheit der Daten schĂŒtzt und TeamkohĂ€sion stĂ€rkt. Optional mit PowerPoint-Begleitung.
  • Abteilung fĂŒr geplante SpontanitĂ€t: Verantwortlich fĂŒr Innovationen, die ausschließlich mit mindestens vier Wochen Vorlauf stattfinden dĂŒrfen.
  • Mindful Electricity Workshops: AchtsamkeitsĂŒbungen zur reflektierten Nutzung von Laptops. Abschlussritual: gemeinsames, bewusstes Ausschalten.
  • Task Force zur Überwachung redundanter Task Forces: Eine Meta-Ebene fĂŒr Institutionen, die befĂŒrchten, dass ihre Governance-Struktur zu schlank wirkt.

Schlussfolgerung

Die Institution der Zukunft steht nicht am Rand des Fortschritts, sondern mittendrin – kniehoch in Governance-Blumenerde. Sie grĂ€bt, sie pflanzt, sie dokumentiert. Doch wĂ€hrend sie versucht, das Ungewisse festzuhalten, wĂ€chst draußen unbeaufsichtigt ein neues Ökosystem. Vielleicht, wenn sie kurz innehĂ€lt, bemerkt sie, dass jenseits des Zauns bereits etwas blĂŒht, das sie nicht gesĂ€t hat – und das trotzdem bereit wĂ€re, mit ihr zu wachsen.

Keine Gremien und keine Richtlinien wurden bei dieser Studie verletzt; lediglich ein Restbestand an Neugier wurde leicht angekokelt.