Memoiren eines überforderten Herzmuskels

Triggerwarnung:
Enthält ironisch zugespitzte Systemdiagnose, rhythmische Überforderung
und ein Herz, das zu viel fühlt, obwohl es nur schlagen will.


Untertitel:
Warum ich beim Zahnarzt chille – und beim Hausarzt durchdrehe.


Hallo. Ich bin der Puls.
Ja, genau der. Der kleine Racker, der normalerweise einfach Blut durch die Gegend pumpt.

Aber seit mein Mensch angefangen hat, mit dem System zu interagieren, bin ich plötzlich zuständig für drei Zusatzjobs:
Alarmanlage. Glaubwürdigkeitsbarometer. Diagnosedelayer.

Ich erzähle euch, was passiert, wenn medizinische Versorgung zur Prüfung wird
und ein Herz plötzlich nicht mehr nur schlägt –
sondern performen muss, um ernst genommen zu werden.


Letzte Woche zum Beispiel. HNO-Arzt. Schnarch-Abklärung. Kaum sitzen wir im Wartezimmer, kriege ich aus der Zentrale (dem Hirn) die Anweisung: "ALARMSTUFE ROT! ALLES HOCHFAHREN!"

Ich so: "Chef, was ist los? Greift uns ein Säbelzahntiger an?"

Das Hirn so: "Schlimmer! Wir müssen gleich beweisen, dass wir nachts wirklich klingen wie ein startender Rasenmäher! Wir dürfen auf keinen Fall zu gesund wirken!"

Also gebe ich alles. 160 Schläge die Minute. Die Hände zittern lassen, für den extra Touch Dramatik. Der Arzt kommt rein, guckt auf sein Messgerät und sagt: "Hui, Tachykardie. Nehmen Sie Drogen?"

Ich schwör's euch, ich hätte fast einen Infarkt bekommen vor Lachen.
Wenn ich denn lachen könnte.


Zwei Wochen später. Zahnarzt. Ich bereite mich auf das Schlimmste vor. Bohrer! Sauger! Dieses fiese Kratz-Ding! Ich erwarte den Befehl zum Abheben.

Stattdessen aus der Zentrale: "Alles cool, Bro. Lehn dich zurück.
Puls auf 80, Sparflamme."

Ich frage: "Aber... der BOHRER?"

Und das Hirn, ganz lässig: "Jo, das hier ist Business.
Der findet was. Er macht’s weg. Wir zahlen. Fertig."

Resultat? Ich wär fast eingepennt.


🔁 Zwischenspiel: Transkript eines EKGs im medizinischen Entscheidungsvakuum

[00:00]

Patient betritt das Wartezimmer.

👀 EKG-Status: leicht nervös

💓 92 bpm

🧠 Kommentar aus dem Hirn: „Vielleicht glaubt er uns ja diesmal.“

[00:04]

Arzt sagt: „Was kann ich für Sie tun?“

💓 124 bpm

🧠 „Okay. Jetzt. Aber nicht übertreiben. Nicht jammern. Nicht lügen. Aber auch nicht zu sachlich. Nur nicht zu gesund wirken.“

[00:08]

Arzt schaut auf die Akte, nicht ins Gesicht.

💓 138 bpm

🧠 „Er glaubt uns nicht. Mist. Wir hätten zittriger reinkommen sollen.“

[00:12]

Arzt murmelt etwas über „psychosomatisch“.

💓 160 bpm

🧠 „Rückzug! Nebennieren in Stellung bringen! Bronchien – jetzt hyperreagieren! Sofort!“

[00:15]

EKG druckt leise:

|‾|__|‾‾‾|__|‾‾|___|‾|___|‾‾‾|__|

👨‍⚕️ „Hm. Ihr Herz scheint gestresst.“

💭 Innerer Puls-Monolog: „Ach nee, Sherlock. Vielleicht liegt’s am Systemdruck und nicht an meiner Schilddrüse?“


Langsam dämmert es mir.
Ich bin kein Messgerät mehr.
Ich bin ein verdammter Stimmungsbarometer für Vertrauen.

Wenn mein Mensch sich als Bittsteller fühlt, der um Gnade winseln muss, spiele ich die Ouvertüre zur Götterdämmerung.

Wenn mein Mensch als Kunde behandelt wird, spiele ich entspannte Lounge-Musik.

Also, liebes System: Wenn Du das nächste Mal meinen wilden Tanz auf Deinem EKG siehst, frag nicht, was mit mir nicht stimmt.
Frag Dich, was mit Dir nicht stimmt.

Ich will doch nur pumpen.


🎬 Schlusswort des Herzmuskels

Ich bin übrigens kein Hypochonder.
Ich bin ein Sensor.
Ein verlässlicher.

Ich reagiere nicht auf Krankheiten.
Ich reagiere auf Strukturen.

Auf Räume, in denen Zweifel schwerer wiegen als Symptome.
Auf Blicke, die nach Schubladen suchen statt nach Menschen.
Auf Fragen, die keine Antwort wollen – nur ein passendes ICD-Kürzel.

Ich bin kein überempfindliches Organ.
Ich bin ein Barometer für Vertrauen.

Wenn ich ausraste,
liegt es vielleicht nicht an meinem Menschen.
Sondern an euch.

Liebes System:

Ihr sagt, mein Puls sei das Problem.
Vielleicht seid ihr der Auslöser.