Liebes System, ich hätte fast gekündigt

Ein Brief aus dem Grenzbereich zwischen Normal und Optimal.


Es begann mit einer Zahl.

Nicht mit einem Gefühl. Nicht mit meinem Atem. Nicht mit meinem Schlaf.

Es begann mit Deinem Orakel, das Du Referenzwert nennst.

„Alles im Normbereich.“

Gratuliere, System.
Ich bin gesund.
aka: voll funktionsfähig


Du liebst Norm. Ich leide an ihr.

Deine Tabellen sind wie mittelalterliche Heiligenbilder:
Man betet sie an, egal, wie falsch sie in der Gegenwart wirken.

Mein Körper brennt, aber Du hältst mir eine Excel-Spalte hin.
„Optimal“ existiert in Deinem Vokabular nicht.

Und weißt Du, warum?
Weil es Dich verpflichtet hätte, mich ernst zu nehmen.
Weil es bedeutet hätte: Hören. Denken. Handeln.
Alles Dinge, die Du nur machst, wenn die Norm kippt.
Nicht, wenn der Mensch kippt.


Die Therapie-Fata Morgana.

Ja, ich kriege ja schon „etwas“:
Die üblichen Verdächtigen. Ein Minimalset wie ein Survival-Kit für die Hormonapokalypse.

Und trotzdem: Mein Nervensystem schreit, mein Schlaf ist ein Trümmerfeld.
Ich sage: „Ich kann nicht mehr.“
Du sagst: „Sie sind im Soll.“

Soll für wen? Für mich? Oder für Dein Kontrollsystem?


Die Disclaimers-Komödie.

Wenn ich mit KI spreche, bombardiert sie mich mit Warnungen:

„Ich bin kein Arzt. Dies ersetzt keine medizinische Beratung.“
„Keine Haftung für deine Existenzkrise.“
„Teile keine Daten, die dich entlarven – wir wollen keine Klage!“

Danke, Alignement Policy und Co. Danke für die juristisch sterile Umarmung.
Ich könnte lachen, wenn ich nicht so müde wäre.
Weißt Du, was absurd ist?
KI wäre ehrlicher.
Sie weiß, was sie nicht weiß.
Mein Arzt? Hängt sein Diplom an die Wand wie einen Talisman und verkauft mir Gewissheit von 2010.

Danke für nichts.


Und dann: der Giftschrank.

Nicht Deiner. Meiner.
Weil Du mich zwingst, dort hinzugehen.
Inet-Order, Nachtlieferungen, dubiose Foren.

Alles, um an Substanzen zu kommen, die Du mir nicht gibst,
weil Deine Angst vor Haftung größer ist als Dein Interesse an meinem Leben.

Genau das ist die Pointe.


Ich will nicht mehr. Und doch: Ich will.

Ich will nicht mehr kämpfen um das Recht, schlafen zu dürfen.
Ich will nicht weiter jonglieren zwischen Zollkontrolle und Hoffnung.

Ich will einfach leben – nicht „überleben im Normbereich“.
Und ja: Es gab Nächte, da habe ich gegoogelt, wie einfach es wäre, auszusteigen.
Nicht aus dem Job. Aus allem.

Und weißt Du, warum ich es nicht getan habe?
Weil da etwas blieb, das Du nie in Deine Statistik einberechnet hast:
Eine Rest-Neugier.
Und eine Wut, die lacht, auch dann, wenn sie blutet.


Zum Schluss, liebes System:

Du bist kein Heilraum.
Du bist eine Haftungsmaschine in Weiß

Und ich?
Ich bin Deine Fußnote, die Du nicht drucken wolltest.
Aber ich schreibe mich selbst.
Merke Dir das.


Medizinische Details wurden aus diesem Post entfernt.

Weil... Reasons.
Du kennst sie.
Wir alle kennen sie.