Leistung auf Sitzhöhe

Die Schule der Demütigung
Jung und voller Hoffnung trat ich meine erste regelmäßige Arbeitsstelle an:
Ein Nebenjob am Wochenende.
Ich erwartete Einarbeitung.
Mich erwartete Tadel und Zeitdruck. Denn ich hatte die Dreistigkeit, auch am zweiten Wochenende noch nicht mit Kollegen mitzuhalten, die das seit zehn Jahren taten.
Ich fing meine Schichten früher an, beendete sie später, arbeite oft auch in der Mittagspause. Das sei mein Problem, wurde mir gesagt. Ich solle schneller werden.
Und schneller wurde ich. Und gründlich.
Weil es sonst Rüffel gab.
Nach einem Jahr ohne Ausfall lag ich mit 39 Grad Fieber und Schüttelfrost im Bett.
Ich rief meine Chefin an.
Keine Besserungswünsche.
Stattdessen:
„Sie sind mir aber ein Mimöschen!“
Der Preis der Effizienz
Zuverlässigkeit ist bei mir Programm.
Kein Arbeitszeugnis, das diesen Umstand nicht unterstreicht: gewissenhaft, loyal, dienstleistungsorientiert.
Dass ich das liefern kann, bedeutet jedoch nicht, dass ich das auch bin.
Meine Effizienz ist nicht Engagement.
Sie ist Selbsterhaltungstrieb.
Ich hatte verschiedene Neben- und Ferienjobs, deren Abläufe ich optimierte, bis sie schnurrten wie eine Katze. Innerhalb kurzer Zeit war ich sichtbar schneller und gründlicher als man es von mir erwartete.
Die Komplimente waren mir sicher.
Das Anrollen von mehr Aufgaben bei gleichem Gehalt ebenso.
Eines Tages faste ich mir ein Herz, um die erhaltenen Komplimente und meine Geschwindigkeit endlich in Bares zu übersetzen.
Ich ging vorbereitet in das Gespräch, sprach souverän. Ich brachte Zahlen zu meiner Leistung und Vorschläge für meine Gehaltserhöhung. Und ich prallte an der Standardlohnmauer ab.
Mein Tempo kam nicht mehr zur Arbeit.
Er begann zu trödeln, zu plaudern, irgendwann auch an zu surfen.
Nach einem Job, in dem Anerkennung nicht bloß aus Komplimenten besteht.
Wenn die Lohnfrage in Schweigen versickert
Es war ein Moment, mitten in der Nacht. Ich erinnere mich nicht, was die genauen Umstände waren. Nur noch, dass ich unglaublich müde war. Und frustriert.
Ich verbrachte mehrere Jahre auf einem Einstiegsgehalt, ohne Zuschläge. Dafür mit stetig wachsender Verantwortung, weil ich es so gut machen würde. Aus reiner Nächstenliebe versteht sich.
Die Mail an den Chef tippte sich von selber. Aber ich hatte weder Strategie für die Mail selbst, noch Plan, was danach passieren sollte. Nicht mal ein Gedanken darüber, ob Mail überhaupt angebracht ist für mein Anliegen.
Und ich schickte sie kaum formuliert auch sofort ab. Kein Gegenlesen von jemandem, der vielleicht mehr als zwei wache Hirnzellen hat. Kein darüber schlafen. Denn ich fand sie clever, selbstironisch, präzise, ja sogar charmant. Und das musste reichen.
Der Chef fand die Mail nicht so charmant. Vor allem im Ton. Vielleicht auch in der Frage an sich. Ich kann es nicht beurteilen, denn ich habe nie eine Antwort erhalten auf die Frage. Stattdessen wurden mir die nächsten Schichten ersatzlos unter den Füßen weggezogen. Damit ich Zeit hätte, mir Gedanken zu machen.
Und Gedanken folgten in der Tat. Ich entschied, dass der Job vorerst noch nützlich war. Und innerlich hatte ich an diesem Tag gekündigt.
Gleitzeit, die nicht gleitet
Meine Lieblingsjobs sind jene, die schon im Stelleninserat damit werben, wie flexibel sie sind. Man habe Gleitzeit von 9 bis 17 Uhr. Homeoffice: Vielleicht nach der Einarbeitungszeit. Aber nicht automatisch, sondern nach Verhandlung. Und natürlich maximal ein Tag pro Woche. Sofern man an dem Tag keine Meetings angesetzt sind. Oder keine Geburtstagspflichtbesuche für X aus Abteilung Y auf Stockwerk Z, den man im letzten Jahr einmal flüchtig gesehen und noch nie ein Wort gewechselt hat.
Rücksicht auf individuellen Bio-Rhythmus, Verkehrslage oder – man wagt es kaum zu denken – sowas wie das Leben außerhalb der Arbeit? Nope, gibt es nicht. Du bist hier, um zu funktionieren. Und zwar exakt im vorgegeben Raster. Malst du außerhalb, betreibst du im Grunde Arbeitsverweigerung.
Dass diese Logik nicht aufgeht, beweise ich, während ich diese Zeilen tippe:
Ich war um 7 Uhr im Büro. Nach zarten 5 Stunden Schlaf. Ich habe Mails gebuttert in Co-Regie, Kollegen geholfen, Meetings durchgeschwitzt. Ich habe Passiv-Aggressive E-Mails von ranghohen Tierchen gepuffert, verdaut und das globale E-Mail Karma ein klein wenig gestreichelt, indem ich diesen Ton nicht weitergetragen habe.
Nun bin ich erschöpft. Kognitiv wie emotional ausgebrannt.
Nicht fähig, einen meiner wichtig-Aber-Nicht-Dringend Aufgaben zu schnappen. Ich weiß, dass ich morgen schneller und besser sein werde, wenn ich jetzt aufhöre.
Aber mein Hintern klebt am Stuhl.
Nicht, weil ich es will.
Sondern weil HR es merken würde, wenn ich jetzt nach Hause gehe. Eine ganze Stunde, bevor die Gleitzeit offiziell beginnt.
Manche werden sagen: "Das ist halt Arbeit."
Ich sage: Vielleicht war das Arbeit – aber das kann nicht unser Massstab bleiben.
Resümee und Ausblick
In einer Fabrik kann man messen, wie viel ein Mensch pro Stunde leistet. Inhuman, aber zumindest objektiv.
In der Wissensgesellschaft ist dieses Modell obsolet. Oder soll etwa gemessen werden, wie viele Butterzeilen pro Stunde ich tippen kann?
Manche Betriebe versuchen dieses Problem tatsächlich damit zu lösen, dass man als Kunde jede Interaktion bewerten kann. Black Mirror grinst in der Ecke.
Was ich stattdessen anstupsen möchte, ist ein gänzlicher neuer Ansatz Arbeit und Wert zu betrachten. Ein System, in dem Menschen wieder menschlich sein dürfen und in dem Arbeit nicht nur Leistung und Misstrauen ist.
Ein System, für das ich mich richtig mobilisieren würde:
- Ich wähle, wann, wo, wie und mit wem ich arbeite.
- Mein Lohn ist abhängig von meiner Wirkung. Nicht von meiner Zeitinvestition.
- Mein Körper wird als essenzieller Teil des Ganzen verstanden und hat erste Priorität. Ohne Wenn und Aber.
Von einem Sportler erwarten wir auch nicht, in Jeans Spitzenleistung zu liefern.
Warum sperren wir Wissensarbeiter in Großraum-Büros und zwingen sie, sitzen zu bleiben, während Hirn und Körper längst schreien?
Dieser Text ist keine Kündigung. Aber vielleicht ein Bewegungsprotokoll.