Ich verdiene nicht mehr. Aber ich schweige besser

Systemverdrängung · Stille Lohnprotokolle

Liebes System
Der letzte Versuch, mit Dir über Geld zu sprechen, ist eine Weile her.
Ich hatte Dich gefragt, ob ich mehr als den Standard kriegen kann.
Du sagtest nicht nein.
Du sagtest: 

Und Du hast damit etwas geschafft, was ich erst rückblickend erkenne:
Dein Schweigen hat mich mundtot gemacht.


Ich hätte längst wieder Lust, Dich um eine Erhöhung zu bitten. Oder Dich zumindest zu fragen, wie man eine erhalten kann. Aber ich sage nichts. Denn ich ahne, dass Du bereits bei der Frage Dein Gesicht verziehen wirst, als hättest Du in eine Zitrone gebissen.

Also cope ich. Mit Witzen. Im Grunde: mit einem.
Und der geht so: “Vielleicht liegt in diesem Jahr ein Bonus für uns drin“.
Gefolgt von HAHAHA als Tarnung.

Bis jetzt hast Du nicht angebissen.


Ich denke bei jedem Qualigespräch kurz darüber nach, ob ich es in diesem Jahr erwähnen könnte. Immerhin sagst Du mir dort, dass Du mich wertschätzt. Manchmal kriege ich sogar ein Sternchen in meine Akte. Für besonders Engagement. Vielleicht sollte ich mir die Sternchen einfach an den Kühlschrank kleben und mich freuen.

Geld ist nicht alles, sagst Du.
Wir machen dafür Ausflüge.
Und Pizza für alle.

Manchmal setzt Du noch einen drauf und bringst meinen Lieblingssatz:

“Wir sind eine Familie”

Das ist doch auch etwas wert...
Ja, das ist es. Liebes System.

Und nein, ich verhungere schon nicht ohne Deinen Bonus und kann mir sogar ab und zu den Zahnarzt leisten.
Dafür bin ich dankbar.

Und ich frage mich dennoch, ob ich mit Dir jemals wieder offen über das spreche, weswegen mein Wecker um 4 Uhr klingelt.


Ich habe einen Bonus wahrscheinlich nicht verdient.
Ich bin längst zu ausgebrannt.
Zu leise.
Zu still, um mich Dir anzubiedern.

Aber vielleicht könntest Du mir trotzdem einen geben.
Weil ich noch da bin.

Deine
Irrelevant