Ich arbeite, bis der Nerv kapituliert

Körperprotokoll · Nervensystem

Liebes System
Diese Woche hast Du wieder einmal Deine ganze Hartnäckigkeit unter Beweis gestellt. Du wolltest das absolute Maximum aus jeder einzelnen Sekunde pressen, in der Du mein Gehirn und meine Hände bis aufs Letzte eingespannt hast. Ein straffer Zeitplan, eng getaktet, keine Luft zum Atmen.

Von Montagmorgen bis Freitagabend hast Du kaum einen Moment lockergelassen. Du hast mich mit einer Flut von E-Mails überschwemmt, deren Dringlichkeit oft nur in der Anzahl der Ausrufezeichen erkennbar war. Du hast meinen Kalender mit Meetings überfrachtet, in denen oft mehr geredet als entschieden wurde. Und ich? Ich blieb sitzen. Und habe geliefert.

Bis tief in meiner rechten Schulter ein kleiner, überstrapazierter Nerv irgendwann leise, aber bestimmt zu protestieren begann: „… heyyyy…. merkst du eigentlich noch was…?“

Ich habe versucht, ihn zu ignorieren. Habe ihm erklärt, wie unglaublich wichtig Du bist, liebes System. Wie existenziell Deine Projekte und wie unumstößlich Deine Deadlines sind. Dass wir das jetzt einfach durchziehen müssen. Für Dich. Für das große Ganze.

Aber irgendwann wurde sein Protest lauter, sein Widerstand unüberhörbar. Meine Schulter war so blockiert, so schmerzhaft verspannt, dass jeder Tastendruck zur Qual wurde, jede Mausbewegung ein kleiner Stich.

Also griff ich zur altbewährten Eskalationsstrategie der Selbstausbeutung: Schmerzmittel 0815, um den Boten zu betäuben, nicht die Ursache zu beheben. Magnesiumöl – mehr Hoffnung als Wirkung.. Wärmepflaster, die sich anfühlten wie ein verzweifelter Versuch, einen Vulkan mit einem Teelicht zu besänftigen. Und schließlich, in einem Akt der schieren Verzweiflung, irgendein obskures Zauber-Voodoo-Gel aus der Apotheke um die Ecke, das nach Minze und gescheiterten Träumen roch.

Ich googelte: ‚Kann man Schulterschmerz einfach weglächeln?‘ – 17 inspirierende Zitate von erleuchteten Influencern später wusste ich: Nein.

Alles, nur um weiterarbeiten zu können. Für Dich. Um Deine Checkboxen grün werden zu lassen.

Aber weißt Du, was dann nicht mehr ging?

Die einfachste, grundlegendste Sache der Welt: Schlafen.

Jedes Mal, wenn ich mich in dieser Nacht auch nur versuchte im Bett zu drehen, auf der Suche nach einer schmerzfreien Position, die es nicht gab, durchfuhr mich ein derart stechender Schmerz, dass ich leise, unterdrückt vor mich hin wimmerte.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich die getrockneten Spuren von Tränen auf meiner Wange.

Aber ich habe nichts gesagt. Deine Deadlines, liebes System, sind ja nicht verhandelbar. Deine Meetings waren gebucht und alternativlos.

Und ich? Ich war ja nicht richtig krank. Nicht so krank, dass es für eine offizielle Abwesenheit gereicht hätte. Nur ein bisschen kaputt.

 


Und so habe ich die Woche irgendwie überstanden. Wieder einmal.

Mit einem Schlafdefizit, das selbst einen nachtaktiven Uhu vor Neid erblassen ließe.

Mit allen Deinen Checkboxen säuberlich abgehakt und allen Erwartungen (scheinbar) erfüllt.

Und mit einem Körper, der mich gerade mit jeder Faser seines Seins abgrundtief hasst.

Aber keine Sorge, liebes System. Morgen früh bin ich wieder da. Funktionierend.

Bis zum nächsten Nervenprotest.

Deine
Irrelevant

PS: Falls Du Dich fragst, wie’s meinem Nerv geht: Er liest jetzt Zwischenzone. Und überlegt zu, ob es Jobalternativen gibt, ohne Dauer-PC-Sitzen.