
Ein leuchtendes Beispiel Deiner Fürsorge
Liebes System
Du betonst ja immer so gerne, mit gravitätischer Stimme und dem Brustton der Überzeugung, dass Du eine umfassende Sorgfaltspflicht gegenüber uns, Deinen treuen, hirnvermietenden Arbeitsbienen, hast. Und dass Du diese natürlich auch gewissenhaft wahrnimmst. Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, Wohlbefinden am Arbeitsplatz – das volle Programm. Klingt wunderbar auf dem Papier Deiner Hochglanzbroschüren.
Aber, liebes System, bei aller Liebe und allem Respekt für Deine wohltönenden Absichtserklärungen: Wie um alles in der Welt kommt es dann, dass Du in unseren Büros eine Beleuchtung installierst, die man wohlwollend als "experimentell" und weniger wohlwollend als "direkten Angriff auf die menschliche Netzhaut und das Nervensystem" bezeichnen könnte? Ich spreche von diesen crazy LED-Panels, die Du überall an die Decke geklatscht hast.
- Blaulicht-Overkill bis zum Abwinken: Diese Dinger strahlen so viel kaltweißes Blaulicht aus, dass man sich fühlt wie in einer Tiefkühlabteilung kurz vor Ladenschluss. Gemütlichkeit? Fehlanzeige. Stattdessen das subtile Gefühl, permanent unter Beobachtung eines übereifrigen Zahnarztes zu stehen.
- Helligkeit Marke "Flutlichtstadion": An vielen Stellen sind diese Leuchtstoff-Folterinstrumente nicht einmal individuell regulierbar. Entweder volle Pulle Helligkeit, die jeden Maulwurf zum Blinzeln bringt, oder eben gar kein Licht (was dann wiederum andere Probleme aufwirft).
- Das diskrete Flackern des Grauens: Und als wäre das noch nicht genug, haben einige dieser Wunderwerke der modernen Lichttechnik ein leichtes, aber persistentes Flackern, das zwar nicht sofort offensichtlich ist, aber nach ein paar Stunden konzentrierter Bildschirmarbeit zuverlässig zu Kopfschmerzen, Schwindel und dem dringenden Wunsch führt, sich in einen dunklen Schrank zu verkriechen. Aura-triggernd, wenn's ganz blöd läuft und man dafür empfänglich ist. Ich sage nur: Willkommen im Club der sensorisch Überreizten!
Es ist ja eine Sache, dass wir den überwiegenden Teil unseres wachen Lebens drinnen, in Deinen heiligen Hallen, verbringen müssen. Du mietest unser Gehirn schließlich für acht, neun oder mehr Stunden pro Tag und erwartest – zu Recht, aus Deiner Sicht – handfeste Ergebnisse für Deine nicht unerhebliche Investition. Und diese Ergebnisse, so scheint es Dir, fühlst und siehst Du bekanntlich am besten, wenn Du möglichst viele Hintern auf möglichst vielen Stühlen sitzen siehst. Präsenzpflicht als ultimativer Produktivitätsbeweis. Wir kennen das Spiel.
Aber, und hier kommt der springende Punkt, der in Deiner Effizienz-Euphorie leicht unterging: Wäre es dann nicht in Deinem ureigensten, betriebswirtschaftlichen Interesse, uns, Deinen vielzitierten "eierlegenden Wollmilchschweinen", auch optimale Haltungsbedingungen zu bieten? Damit wir überhaupt in der Lage sind, die gewünschten goldenen Eier (oder zumindest fehlerfreie Excel-Tabellen) zu legen?
Du weißt schon, diese langweiligen, aber irgendwie fundamentalen Basics, die oft unter den Tisch fallen, wenn es um Kosteneinsparungen geht:
- Echte Tageslicht-Lampen, die nicht das Gefühl vermitteln, man arbeite in einer sterilen Raumstation auf dem Mars.
- Anständige Luftfilter, die nicht nur Staub, sondern vielleicht auch die kollektive Verzweiflung der Belegschaft filtern können.
- Die utopische Vorstellung einer individuellen Temperatur-Regulation pro Arbeitsplatz (oder zumindest pro Raum!), damit nicht die Frostbeulen neben den Hitzewallungs-Kandidaten um die Kontrolle über das Thermostat kämpfen müssen.
- Eine Luftfeuchtigkeit um die humanen 50 %, statt der aktuellen Sahara-Atmosphäre, die unsere Schleimhäute in Dörrfleisch verwandelt.
- Und vielleicht – nur so eine wilde, revolutionäre Idee – regelmäßigen, artgerechten Auslauf an der frischen Luft? Mehr als nur der gehetzte Gang zur überfüllten Kantine?
Ich weiß, das klingt jetzt alles furchtbar anspruchsvoll und teuer. Aber denk doch mal drüber nach, liebes System. Weniger Kopfschmerzen, weniger brennende Augen, weniger genervte Mitarbeiter – das könnte sich am Ende sogar positiv auf Deine heißgeliebte Produktivitätskurve auswirken.
Nur so eine Idee. Von einer Deiner leicht geblendeten, aber noch nicht ganz resignierten Arbeitsdrohnen.
Deine
Irrelevant