Ein Hoch auf die Maus

Körperprotokoll · Klickchronik

Deine Erfindungen sind genial – bis auf die gesundheitlichen Kollateralschäden, für die Du dann aber elegant nicht mehr zuständig bist.


Liebes System
Ich frage mich manchmal, was genau Du Dir damals dabei gedacht hast. In jenem lichten Moment der Erleuchtung, als Du die Computermaus erfunden und beschlossen hast, es wäre eine geradezu brillante Idee, wenn wir fortan acht oder mehr Stunden täglich damit hantieren würden. Ein Klick hier, ein Scrollen da, ein präzises Verschieben von Pixeln – die Handgelenke jubeln vor Freude. Oder auch nicht.

Ja, ja, ich weiß. Bevor Du jetzt mit Deiner Standard-Argumentations-Litanei beginnst: Es gibt Shortcuts (die sich eh keiner alle merken kann, es sei denn, man hat sie als Tattoo auf dem Unterarm). Es gibt ergonomisch geformte vertikale Mäuse, die aussehen wie kleine, traurige Raumschiffe und anfangs mehr Verwirrung als Erleichterung stiften. Es gibt bunte Gel-Pads, die das Handgelenk sanft betten sollen, als wäre es ein müder Hamster. Es gibt sogar Software, die einen daran erinnert, Pausen zu machen (die man dann pflichtschuldig wegklickt, weil: Deadlines!).

Und trotzdem: Ich höre von nahezu jeder zweiten Person, die ihren Lebensunterhalt mit digitaler Klickarbeit bestreitet, dass sie mindestens schon einmal eine unliebsame Bekanntschaft mit dem charmanten Duo "Kribbeln im Handgelenk & taube Finger" gemacht hat. Fachbegriff: Karpaltunnelsyndrom. Der unsichtbare Berufsunfall der Wissensarbeiter.

Könnte es vielleicht sein – nur so ein verrückter Gedanke am Rande – dass wir Menschen mit unserer Steinzeit-Anatomie einfach nicht dafür gebaut sind, den lieben langen Tag auf einem Stuhl zu kauern und mit einer kleinen Plastikschale über den Schreibtisch zu schubbern? Ist dieser Gedanke schon mal jemandem in Deinen heiligen Hallen der Effizienzoptimierung gekommen? Vermutlich nicht. Das würde ja das ganze schöne System in Frage stellen.


Meine persönliche Tunnelsituation hat aktuell übrigens das Level erreicht: "Ich habe mir in einem Anflug von Verzweiflung eine Linkshänder-Maus bestellt und versuche nun, meinem rechten Gehirn beizubringen, was mein linkes seit Jahrzehnten macht. Die Lernkurve gleicht der eines Kleinkindes, das versucht, mit Stäbchen Suppe zu essen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt." Muss ich wirklich noch mehr dazu sagen, um die Tragweite des Problems zu illustrieren?

Es scheint für diese Art von systembedingtem Verschleiß keine wirklich "echte", nachhaltige Lösung zu geben. Der Karpaltunnel gehört mittlerweile quasi zur Berufskrankheit schlechthin für alle, die tagein, tagaus am PC Texte tippen, Grafiken designen, Tabellen jonglieren oder einfach nur versuchen, Deine unzähligen E-Mails zu beantworten.

Ja, es gibt diese schicken Schienen für die Nacht, die das Handgelenk in eine unnatürlich gerade Position zwingen und dafür sorgen, dass man aussieht wie ein frisch bandagierter Unfallpatient. Sie helfen ein wenig, die Symptome zu lindern. Ein bisschen.

Ja, man könnte es theoretisch operieren lassen. Ein kleiner Schnitt, ein bisschen Rumschnippeln am Nervenkanal, und voilà – vielleicht ist es besser. Vielleicht aber auch nicht. Oder vielleicht kommt es nach ein paar Jahren einfach wieder. Und irgendwie hat mein persönlicher Ehrgeiz, meine "Berufsfähigkeit" durch multiple chirurgische Eingriffe künstlich aufrechtzuerhalten, dann doch irgendwo seine natürlichen Grenzen. Vor allem, wenn die Ursache – das stundenlange Klicken – ja bestehen bleibt.

Also was mache ich? Ich halte einfach tapfer durch. Ich arbeite mit allerlei kreativen Abkürzungen, mit Autotext-Funktionen, mit Diktier-Software (die mich meistens falsch versteht und zu unfreiwilligen Lachern im Großraumbüro führt) und mit der oben erwähnten Linkshänder-Maus-Akrobatik, um die Belastung meiner malträtierten rechten Hand irgendwie zu reduzieren. Ich wechsle die Arbeitsposition häufiger als ein Chamäleon seine Farbe.

Ob das eine Dauerlösung ist?

Wer weiß das schon so genau, liebes System. Du jedenfalls hattest bislang keine wirklich magische, systemimmanente Lösung zur Hand, um dieses Problem für uns Wissenssklaven... äh, -arbeiter zu lösen.

Vielleicht erfindest Du ja als Nächstes eine Gedankensteuerung für Computer? Das wäre doch mal was. Bis dahin klicke ich weiter – mit links, mit rechts, mit Schmerzen, mit Hoffnung.

Deine
Irrelevant


Zwischenzonen-Hymne: Eine Ballade aus dem Handgelenk

(für linke, rechte und innere Hände)

Ich war nur kurz am Scrollen dran,
da klopfte Schmerz die Sehne an.

„Du brauchst mich doch“, hab ich gedacht –
und weiter durch den Tag gemacht.

Doch meine Hand, sie sprach mit Druck:
„Ich bin kein Klickgerät auf Spuk.
Ich halte viel, doch keine Pflicht,
die deinem Wert das Urteil spricht.“

Sie schwoll ein wenig, zog sich krumm,
als ob sie sagte: „Sei doch stumm –
für einen Hauch, für einen Zug,
der nicht nach Leistung riecht, nur Pflug.“

Ich tauchte sie in laues Licht,
das Wasser flüsterte Gedicht:
Du bist kein Fehler, wenn du ruhst.
Und nicht kaputt, nur weil du musst.“

So lernte ich, die Hand zu lesen,
nicht nur für Tasten und Thesen.
Sondern für Zeit, für feine Geste –
und das, was ich zu oft vergesse.