Ein Fall für die Statistik, aber nicht für die Versorgung

Körperantworten auf Systemkommentare

Ein offener Brief an das System (das nachts vermutlich tief und fest schläft)


Prämisse: Sie liegen im Normalbereich. Sie schnarchen mit Stil, fast schon künstlerisch wertvoll. Ihre Sauerstoffwerte machen zwar ab und an einen kurzen, wilden Tango unterhalb der Gürtellinie, aber das System hat gerade keine Lust zu tanzen. Also gelten Sie als kerngesund. Schlafen Sie gut – und wunderbar fragmentiert.


Liebes System
Du hast mir heute mitgeteilt, ich sei "noch in der Norm".

Mein Körper hat daraufhin versucht, höhnisch zu lachen, ist dann aber in ein leises Weinen übergegangen und hat sich schließlich erschöpft in eine Art Schlaf geflüchtet.

Ob er dabei durchgehend geatmet hat, bleibt Dein kleines, gut dokumentiertes Geheimnis. Meines ist es jedenfalls nicht.


Es ist ja, auf eine gewisse verdrehte Art, beruhigend zu wissen, dass mein Körper noch reagiert, wenn meine Sauerstoffsättigung mal wieder einen bedrohlichen Ausflug in den tiefroten Bereich unternimmt. Aber weißt Du eigentlich, wie dieses "Reagieren" in der Praxis aussieht, liebes System? Es bedeutet, dass mein Körper mich panisch aus dem Tiefschlaf reißt. Jedes einzelne, verdammte Mal, wenn der Sauerstoffpegel beschließt, den Marianengraben zu erkunden. Du nennst das in Deinen Berichten charmant "anekdotische Mikro-Arousals". Ich nenne es: "Sich nach acht Stunden im Bett fühlen, als hätte man die Nacht mit einem Betonmischer Ringelpiez mit Anfassen gespielt und verloren."

Ich verstehe ja, dass Du Richtlinien brauchst. Deine Excel-Tabellen und Schwellenwerte. Dass nicht jeder, der nachts gelegentlich ein Geräusch von sich gibt, das an eine brünstige Wildsau im Nebel erinnert, sofort ein glänzendes CPAP-Gerät auf den Nachttisch gestellt bekommt. Dass die Krankenkassenbeiträge explodieren würden wie überreife Melonen in der Sommersonne, wenn jeder einfach alles bekäme, was potenziell helfen könnte. Ökonomie und so. Ich versteh's. Theoretisch.

Praktisch sitze ich aber wieder hier. In meinem privaten Bastelkeller der Selbsthilfe. Mit meinen zwanzig liebevoll kuratierten Do-it-yourself-Lösungen – von esoterischen Nasenpflastern über Mundtapes bis hin zu strategisch platzierten Kissenburgen – nur damit ich überhaupt ein paar erbärmliche Minuten REM- und Tiefschlaf erhaschen kann, ohne dabei zu klingen, als würde ich versuchen, einen Staubsauger durch ein Saxophon zu inhalieren.

Denn irgendwas, liebes System, stimmt bei mir ja offensichtlich nicht. Da ist diese leicht krumme Nasenscheidewand, die der Luft den direkten Weg verwehrt wie ein übereifriger Türsteher. Die besondere Architektur meines Halses. Dieser viel zu weiche Gaumen, der bei der kleinsten hormonellen Schwankung zum flatternden Segel des Verderbens wird. Ein paar strategisch fehlende Zähne, die die Statik im Mundraum durcheinanderbringen. Und ja, auch ein paar Wohlfühl-Kilogramm, die der Schwerkraft nachts zusätzliche Argumente liefern.

Einzeln betrachtet? Vielleicht alles nur harmlose "Varianten der Norm". In der unglückseligen Summe ihrer Teile aber: Jede einzelne Nacht eine massive Erholungseinbuße. Ein Defizit, das sich heimtückisch kumuliert und links und rechts in meinem Alltag Wellen schlägt, die Du in Deinen Statistiken nicht erfasst.

Ich verlange ja gar nicht, dass das mein individueller Schnarch-Krimi jetzt Dein dringlichstes Problem Nummer eins wird. Ich bin mir sicher, Du siehst täglich weitaus dramatischere Fälle, bei denen die Sauerstoffkurven noch tiefere Tauchgänge vollziehen. Ich schlage auch nicht vor, dass wir jetzt sofort meinen Kopf aufsägen müssen, um im Trüben nachzuforschen, warum die Luft partout nicht da ankommen will, wo sie hingehört.

Aber, liebes System, bist Du denn nicht ein ganz klitzekleines bisschen neugierig? Kein winziger Funke wissenschaftlicher Ehrgeiz, der wissen will, warum mein Sauerstoff überhaupt derart abenteuerliche Kapriolen schlägt, obwohl ich doch "eigentlich" noch im grünen Bereich Deiner Tabellen liege?

Vielleicht finde ich es ja irgendwann selbst heraus. Vermutlich nicht ohne fremde Hilfe. Aber eines wird immer klarer: ohne Deine substanzielle Hilfe.

In resignierter Hoffnungslosigkeit (aber mit exzellent dokumentierten Schlafdaten),

Deine
Irrelevant


P.S. Und wie ich dem lieben Herrn Doktor, Dein weißgekitteltes Außenbüro, auf seine tröstlichen Worte ("Da können wir leider nichts machen") tatsächlich geantwortet habe? Nun, meine Version war vielleicht eine Spur diplomatischer, aber im Geiste klang sie ungefähr so (oder zumindest hätte sie so klingen sollen, wenn mein Hirn nicht so sauerstoffarm gewesen wäre):
Sehr geehrter Herr Doktor,

vielen herzlichen Dank für Ihr aufschlussreiches Feedback und die Bestätigung, dass ich auf der sanften Welle des Leichtschlafs weiterhin elegant dem Sonnenaufgang entgegensurfen darf. Ich werde die kommenden Gezeiten in der Nacht mit Interesse und vielleicht einer neuen Packung Koffeintabletten beobachten.

Ihre Unterstützung, das Anekdotische vom Systemrelevanten zu trennen, war mir eine große Hilfe. Bis zum nächsten Mal – wenn der Luftdruck (oder das System) es wieder so will.

Mögen Ihre Tage erholsam und Ihre Nächte frei von störenden Atemgeräuschen sein! 🌊