Die (freiwillige) jährliche Schulreise

(frei inspiriert von realen Ereignissen. Ähnlichkeiten mit existierenden Institutionen sind rein zufällig, aber erschreckend genau.)


Prolog: Die Einladungskultur

Es beginnt nie mit Zwang.
Es beginnt mit: „Wäre schön, wenn du kommst.“

Und ehe man sich versieht,
sitzt man in einem Bus Richtung Irgendwo,
trinkt lauwarmen Prosecco
und fragt sich,
warum man seine Freizeit opfert,
nur um beim Teambuilding nicht zu fehlen.


Szene 1: Die Einladung

Ein Montag. 7:02 Uhr.

Ein Kalender-Ping. Betreff: "Unsere Schulreise steht an - wir freuen uns!"

Inhalt: Die Protagonistin wird gen Mittag zum Teamevent geladen.

Davor: HomeOffice aus Kulanz aka “Wir lassen dich vorher arbeiten, damit du nachher funktionierst”.
Oder auch einfach: Die Regie hat selber keinen Bock, das Arbeitsgerät auf dem Rücken zu tragen.


Szene 2: Die Ansprache

11 Uhr. Ein viel zu kleiner Raum. Kein Fenster. Kein Wasser. Kein Schatten.

30 Minuten Worte. In Anzug gegossen.

Was bleibt: "Wir danken für euren Einsatz. Ihr seid das Rückgrat dieser Institution."

Was gemeint war:

"Bitte macht weiter, obwohl wir keine Ahnung haben, wie."


Szene 3: Die Sardinenphase

12 Uhr. Im Restaurant angekommen. Alle Tische auf Anschlag. Luft: zäh und klingt nach Neonflimmern. Die Protagonistin sitzt neben Klaus. Klaus spricht über seine Katze. Klaus’ Katze winkt gedanklich aus der Ferne. Seit 2017.

Die Luft riecht nach Archivkarton und überbackenen Träumen.


Szene 4: Der Spaziergang

13:48 Uhr. Man geht los. Ziel: Irgendwo. Niemand weiß genau. Es wurde nie gefragt, um Rüffel zu vermeiden.


Szene 5: Das Steh-Blah

14:30 Uhr. Man steht. Es gibt ein "Event". Was genau, bleibt unklar, aber alle kriegen das Firmenlogo angezogen. Es wird fleißig geknipst. Es gibt keine Sitzgelegenheit. Keine Getränke. Nur Sonne. Und Floskeln. Nur ein leises Knacken im unteren Rücken – KNACK!

Die Protagonistin lehnt sich gegen eine Wand und setzt sich irgendwann hin, weil ihr schwarz wird. HR Blick sanktioniert den fehlenden Einsatz. HR notiert Fleisspunkte im Negativ.


Szene 6: Der Drift

15:35 Uhr. Einige versuchen, sich zu verabschieden. Antwort: "Aber wir machen doch noch Apéro? Bleib doch noch!"

Verantwortung dreht sich um:

Wer geht, ist unsozial.
Wer bleibt, ist gefangen.


Szene 6a: Der stille Aufstand

Eine Person kam nicht.
Sie hatte sich vorher abgemeldet – dieselbe, die sonst neben Klaus sitzt.

Sie arbeitete vormittags.
Sie ging danach heim. Einfach so.

Ein Raunen im Flur: "Ist das überhaupt erlaubt?"

Antwort (nur gedacht):

"Was nach 12 Uhr passiert, ist meine Sache."


Szene 7: Teams-Pings & Orientierungslosigkeit

15:45 Uhr. Ein Teams‑Ping ploppt auf: "Weiter geht’s in 10 Minuten, Treffpunkt beim Brunnen!"

Ein Drittel sieht die Nachricht nicht, weil Teams auf dem privaten Handy nichts verloren hat. Ein Drittel hat längst kein Akku mehr, weil das Gerät den halben Tag in der Sonne lag. Niemand weiß, welcher Brunnen gemeint ist. Drei Gruppen ziehen in drei Richtungen.

Ein zweiter "Teamförderungsanlass" beginnt. Stehend. In der Sonne. Again. Thema? Wer weiß das schon so genau. Die Erzählungen variieren. Jemand murmelt: "Sind wir hier eigentlich im Kindergarten?". Die Regie schaut empört und macht eine Notiz.


Szene 8: Alkohol trifft Kaktus

19:10 Uhr. Endlich Apéro.

Protagonistin sieht Gimlet‑Gläser, Maison‑Kaktus‑Likör (riecht nach verkapptem Spülmittel und brennt doppelt beim Rülpsen; wird später als Desinfektionsmittel zweckentfremdet) und drei Sorten Häppchen, alle mit Gluten.

Smalltalk-Level: Fortgeschritten. Flüssigkeitszufuhr: ausschließlich Prosecco.


Szene 9: Menü ohne Exit

20:00 Uhr. Überraschungsdinner.

Die Vegetarierin bekommt "fast Fleisch" – dazu der Kommentar: "Ist ja nur ein bisschen Brühe." Der Blick der Protagonistin hätte Milch gerinnen lassen.

Der Direktor hält einen Toast.

Der Busfahrplan zurück existiert nur theoretisch – genau wie das Budget für Taxi‑Rückerstattung oder das Verständnis für Pendelrealität.


Szene 10: Heimfahrt & Kater

22:15 Uhr. Die, die einen Parkplatz in Restaurant‑Nähe fanden, sind um 23:00 Uhr zu Hause.

Die anderen lernen die Taxi‑Flatrate von A bis B kennen. Oder schlafen auf irgendeiner Couch.


Szene 11: Der Tag danach

08:37 Uhr. Mailserver meldet: "Sick leave: 12 new entries."

08:45 Uhr. Direktion schickt Dankes-Mail: "Wow, so viel Teamgeist!"

Die Katze von Klaus miaut im Hintergrund.


Abspann

Teambuilding ist, wenn man lernt, sich selbst nicht zu verlieren.
Auch nicht für Erdnüsse am See.

Klaus schickt ein Katzen‑GIF. Niemand antwortet. Es miaut in der Leere.

Ende der Vorführung.