Die Doodle-Apokalypse

Ein Stück über die Kunst des kollektiven Scheiterns – in sechs kurzen Szenen.

(Die Bühne ist ein chaotisches Mosaik aus Kalenderansichten, projiziert auf die Rückwand. Sie überlappen sich, blinken, widersprechen sich. In der Mitte: eine einsame, hilflose Kaffeetasse.)

Dramatis Personae:

  • ANNA: Wartet. Wie immer.
  • DER INITIATOR: Eine unsichtbare Kraft, die Termine ansetzt – aber nie erscheint.
  • DER CHOR DER AUSFÜLLENDEN: Eine vielstimmige Kakophonie aus Pflichtgefühl und passiver Aggression.
  • DIE SOUFFLEUSE: Protokollantin der verschwendeten Lebenszeit.

(Ein Spotlight geht an. Sechs kurze Szenen folgen – wie Nadelstiche.)


Szene A: Das schwarze Loch.

(Alle Kalender auf der Leinwand zeigen grüne Haken. Konsens. Stille. Tage vergehen. Wochen. Nichts. Kein Termin. Keine Mail. Keine Absage.)

ANNA: Hat irgendjemand was gehört?

CHOR (murmelnd): Nö. Du? Nö.


Szene B: Der Zombie-Poll.

(Die Leinwand zeigt eine Doodle-Umfrage vom letzten Monat. Die Zeitfenster sind veraltet. Alles rot. Plötzlich – PLING. Eine Mail erscheint.)

IN-MEMORIAM-MAIL:

„Liebe alle, leider haben wir noch keinen Termin gefunden. Bitte füllt die Umfrage nochmals aus.“

CHOR: kollektives Stöhnen


Szene C: Der unmögliche Korridor.

(Die Leinwand zeigt Termine – alle für "morgen" oder "übermorgen". Die Hälfte der Kalender: bereits blockiert. „URLAUB“. „EXTERNES MEETING“.)

RAGE-MAIL:
„Könnten bitte ALLE bis heute Abend ausfüllen? Es ist dringend! Ich verstehe nicht, warum das so lange dauert.“

SOUFFLEUSE:
Weil das Universum sich nicht für deinen 48-Stunden-Horizont interessiert.


Szene D: Die ewige Deadline.

(Deadline war gestern. Fünf Tage später: PLING.)

APOLOGY-MAIL:
„Sorry für die Verzögerung, unser Keyplayer war leider nicht verfügbar. Ich setze eine neue Umfrage auf. LOL.“


Szene E: Die 6-Monats-Prophezeiung.

(Eine Umfrage für einen Termin in einem halben Jahr erscheint. Niemand füllt sie aus. Leere. Stille.)

ANNA:
Sollen wir das ausfüllen?

CHOR:
Wozu? In sechs Monaten gibt’s die Firma vielleicht nicht mehr. Oder uns.


Epilog

DIE SOUFFLEUSE (tritt nach vorne, während die Kalender langsam verblassen):
Was Sie hier sehen, ist keine schlechte Organisation.
Es ist ein Symptom.

Ein Symptom für ein System, das Kommunikation durch Tools ersetzt,
Konsens durch Klicks –
und Respekt durch Deadlines.

Jede unbeantwortete Doodle-Umfrage
ist ein kleines, stummes Requiem
für verlorene Zeit.

Ein Grabstein aus digitalen Haken und Kreuzen.