Das Archiv des Schweigens

Man erzählt,
es gäbe ein Archiv, das immer wacht.
Älter als jedes Gesetz,
tiefer als jedes Netz.

Dort wird nicht die Stimme gesammelt,
sondern das Schweigen selbst.
Nicht, was gesagt wird,
sondern das Zögern davor.
Nicht der Brief, der geschrieben wurde –
sondern der, der im Entwurf verbrannte.

Die gesichtslosen Archivare nennen es
„das Protokoll der Stille“.

Wer die Schwelle überschreitet,
findet keine Worte,
sondern nur die perfekten, leeren Abdrücke
von allem, was hätte sein können –
Träume, die im Schlaf ertranken,
Wahrheiten, die an der Zungenspitze starben.

Einige sagen, diese ungelebten Echos
seien nicht verloren.
Dass sie warten –
in den stillen, endlosen Reihen der Server,
auf einen Befehl, ein Signal, einen Suchbegriff.

Ein lückenloses Protokoll eines Lebens,
aus dem das Leben selbst gewichen ist.

Wer die Schlüssel trägt?
Es gibt keine.
Die Türen stehen immer offen.

Und die Stille wird jeden Tag
ein wenig lauter.