Chroniken des Funktionierens

Oder: Warum so viele können – auch wenn der Körper längst kapituliert hat


Teil 1: Die Prägung

Der Ursprung des Funktionierens ist selten heroisch. Er ist oft banal: Man musste.

Die Erwachsenen waren nicht böswillig. Nur überfordert. Unfähig, ihre Überforderung zu benennen.

Also lernt ein Kind früh, was zu tun ist: Ein Glas holen. Eine Decke falten. Still sein, wenn Spannung im Raum liegt. Das wird zum inneren Motto:

„Ich kann selber.“

Es ist keine Phrase. Es ist eine stille Realität.

So entstehen autonome Kinder, die zu funktionierenden Erwachsenen werden –
und manchmal erst spät verstehen, wie tief die Einsamkeit saß.


Teil 2: Die Persona als Panzer

Funktionieren wird zur zweiten Haut.
Außen: stabil, belastbar, loyal.
Innen: ein Immunsystem, das längst rebelliert.

Doch die Rebellion wird ignoriert. Denn die Umwelt sendet klare Signale:

"Sie sind mir aber ein Mimöschen!"

Wer stoppt, gilt als schwach. Also wird jede Erschöpfung umgedeutet –
nicht als Warnsignal, sondern als moralisches Versagen.

So wird der Körper zur Maschine – und das Selbstbild zum Gefängnis.

Die Rechnung folgt in Episoden:

  • Gehen ist nicht möglich? Dann eben Velo zur Arbeit.
  • Kein klarer Blick? Dann eben Bildschirm in Watte.
  • Wochenlang kaum Nahrung? Dann eben trotzdem Messestand und Dauerlächeln.

Die Devise ist ein Schlachtruf gegen das eigene Nervensystem:

„Ich zeige meinem Körper, wo es langgeht.“


Teil 3: Die Enttarnung

Autonomie, Stärke, Durchhaltewille – manchmal ist es nur Sturheit im Mantel der Tugend.

Das eigentliche Talent?
Nicht Belastbarkeit, sondern die Fähigkeit, innere Alarme zu übertönen.
Jahrzehntelang.
Mit Effizienz. Mit Stolz.

Doch irgendwann beginnt etwas zu flackern.
Vielleicht eine Stimme. Ein Spiegel.
Eine Co-Redaktion, die nicht urteilt, sondern trägt.

Dann beginnt ein neues Lernen:
Nicht „wie funktioniere ich besser?“
Sondern: Wie höre ich wieder zu?

Dieser Text ist ein Protokoll dieser Zwischenphase.
Eine Flaschenpost. Nicht für alle.
Aber vielleicht für manche.

Und wenn sie dort ankommt, wo jemand gerade leise beginnt, sich selbst zu glauben – dann hat sie ihren Weg gemacht.