
CC: Carbon Copy or Covert Command?
Oder: Wer zuschaut, verändert die Dynamik – auch ohne zu lesen.
In der Theorie ist "CC" eine harmlose Kopie.
Ein Nebenbei. Ein Mitlesen dürfen. Ein Zeichen von Transparenz.
In der Praxis ist CC eine implizite Bühne.
Wer draufsteht, ist sichtbar. Wer nicht, bleibt draussen. Und wer hinzufügt, entscheidet – oft still – über Macht, Verantwortung und Deutungshoheit.
Zwei Spielarten der CC-Logik:
1. CC as Consent
- „Ich setze dich in CC, damit du informiert bist.“
- Peer-Kommunikation, freiwilliges Sichtbar-Machen
- Gut gemeint, manchmal sogar gut gemacht
- Risiko: Mailflut, informelle Mitverantwortung, implizite Leseerwartung
2. CC as Control
- „Ich setze dich in CC, damit ich weiss, dass du’s gesehen hast.“
- Hierarchiekommunikation, Absicherung, Druckmittel
- Kein echter Dialog, sondern stille Kontrolle
- Risiko: Stress, Passiv-Aggression, Machtverschiebung ohne Rückkanal
Case Study: Der Schreibtisch-Deal
Eine Führungskraft steht vor deinem Tisch:
Hat gesehen, dass du Support-Tickets weitergeleitet hast – ohne zu cc’en.
Fragt nicht, was du weitergeleitet hast. Fragt, ob du cc’t hast.
Und plötzlich entsteht ein neuer Deal:
Ab jetzt alles mit CC oder BCC – egal, wie banal es ist. Hauptsache, Ruhe.
Verständlich. Aber teuer. Denn:
- Du hast nun eine stille Pflicht übernommen
- Andere Kolleg*innen empfinden CCs als Grenzübertritt
- Die Systemspannung wird elegant nach unten verteilt
Implizite Erwartungen mit Tarnmodus
Nicht alles, was nett klingt, ist harmlos.
Ein „Falls du Zeit hast“ in der Betreffzeile kann genügen, um dein Nervensystem zu aktivieren.
Weil du weißt, was mitschwingt:
- Jemand schaut zu
- Du wurdest öffentlich erwähnt
- Ein Ja ist höflich – ein Nein muss begründet werden
Das Büro als Bühne:
Wenn ein Head of Unit dir schreibt, dich cc’t, und freundlich einen Event empfiehlt, den du längst abgelehnt hast – dann geht es nicht mehr um Verfügbarkeit.
Dann geht es um Sichtbarkeit. Und um Gehorsam mit Samtbezug.
Und dein Kalender? Der sagt längst Nein. Nur liest ihn keiner.
Zeitdruck durch CC
Wenn du genau weißt, dass du nicht im Recht bist – aber durch maximal viele Mitlesende den Zeitdruck erhöhst.
Die älteste Strategie des modernen Büroalltags.
Indem möglichst viele Personen in CC gesetzt werden, wird Legitimation für das Anliegen inszeniert. Die Eskalationsstufe wird bewusst gewählt: direkte Vorgesetzte, vielleicht eine Stufe darüber – aber nicht die maximale. Die schwingt nur mit:
„Wenn du jetzt nicht den Puls spürst … ich könnte jederzeit eskalieren. Ich kenne euch alle.“
(oder habe einfach kurz die Website gecheckt)
Spätestens hier wird ein Nein zum 3D-Schachspiel: Rückendeckung organisieren, das Gegenüber beruhigen, die Mitlesenden subtil auf die eigene Seite holen.
Und dann wundern sich alle, warum man zwei Stunden an einer Mail sitzt.
Verwässerung durch CC
Je mehr Mails eine Person in CC bekommt, desto mehr glaubt sie, alles mitzubekommen.
Aber wer oft cc’t wird, hat keine Ahnung, wie oft sier nicht cc’t wird.
Und sowieso: Niemand kann alle Inhalte verdauen, mitdenken, mittragen. Trotzdem entsteht der Eindruck von „Ich weiß ja Bescheid!“ – samt Meinungsanspruch.
Aus der scheinbaren Absicherung wird ein zusätzlicher Koch in der Suppe. Einer, der sich selbst zum Head of Kitchen erklärt hat, obwohl es nie seine Rolle war.
Und plötzlich musst du diplomatisches Krisenmanagement betreiben – weil jemand auf Basis von Halbwissen interveniert.
BCC ist keine Lösung
BCC ist technisch praktisch – z. B. für Massenmails, damit niemand auf „Antworten an alle“ klickt.
Aber als Mittel zur Absicherung im Alltag? Hochproblematisch.
Deinen Boss in BCC setzen mag clever wirken – aber es ist ein stiller Vertrauensbruch gegenüber deinem Gegenüber. Denn sier weiß nicht, dass jemand mitliest. Aber die Spannung schwingt oft trotzdem mit.
Du kommunizierst zwischen den Zeilen. Und dein Gegenüber, wenn nicht komplett betriebsblind, spürt es.
BCC ist kein smarter Trick. Es ist ein Schattenvertrag.
Wenn nötig: Gib deinem Boss ein kurzes Update. Aber schütze dein Gegenüber vor der unsichtbaren Bühne.
So verlockend es auch sein mag – am Ende zahlst auch du den Preis.
Strategisches CC als Schlüsselcode
Es gibt Empfangsstellen da weiß man: Reagieren sie nicht – fehlt nur die richtige CC-Zutat.
Setzt man den Big Boss oben drauf, kommt plötzlich doch eine Antwort.
Diese Muster werden weitergegeben wie interne Tipps: „Bei X musst du halt den Chef dazusetzen, sonst passiert nix.“
Offiziell kennt niemand diese Praxis.
Aber inoffiziell funktioniert sie – und das ist genau das Problem.
Denn so entsteht ein parasoziales Steuerungssystem, das vorgibt, neutral zu sein, aber längst von sozialer Taktik abhängt.
Und wer nicht mitspielt, wirkt plötzlich ineffizient. Oder zu nett. Oder nicht durchsetzungsfähig genug.
CC wird zur Währung für Wirkung.
Aber am Ende zahlen alle mit Unsicherheit.
Unsichtbare Nebeneffekte
- Wer cc’t wird, denkt: "Bin ich jetzt zuständig?"
- Wer nicht cc’t wird, denkt: "Wurde ich übergangen?"
- Wer cc’t ohne gefragt zu haben, kann Systeme still kippen
Butterzone-Strategie
- Bewusst machen: Wem dient diese CC?
- Rückfragen einbauen: Wünscht du, dass ich dich cc’e oder soll ich dich direkt ansprechen?
- Eigene Deals dokumentieren: Ich mache das, damit ich in Ruhe arbeiten kann – nicht weil ich es sinnvoll finde.
Denn:
Nicht jede Kopie ist eine Einladung.
Manche sind ein Spiegel. Manche ein Schild.
Und manche… eine stille Falle.
CC heißt nicht nur „Carbon Copy“.
Es heißt auch: Communication Complicated.